Abstract
Contributed Talk - Working Group History of Astronomy
Melanchthons semiologische Astrologie
Christoph Meinel
Universität Regensburg
(christoph.meinel@ur.de)
Mathematik und Astronomie nehmen in Melanchthons Studienreform einen wichtigen Platz ein; doch für das spezifische Profil der Naturlehre des Praeceptor Germaniae hat sich die Forschung kaum interessiert. Dabei ist ihr Ansatz alles andere als konventionell: Da Naturdingen und Himmelskörpern bei Melanchthon keinerlei eigene Wirkfähigkeit innewohnt, alle Erscheinungen in der Welt aber ursächlich miteinander verbunden sind, führt der nexus causarum auf die oberste Ursache: auf Gott als den in der Welt wirkenden Erhalter (providentia). Das wahre Wesen der Vorgänge am Himmel und auf der Erde vermag der Mensch freilich nicht zu erkennen. Doch hat Gott in uns gewisse angeborene Ideen gelegt, die uns helfen, die vestigia Dei naturae impressa zu erkennen. Naturforschung ist daher Semiotik. Himmelserscheinungen sind daher gleichermaßen Zeichen wie Ursachen (signa et causae mutationum), wobei alle Ursachenketten in Gott als letzter Ursache zusammenlaufen. Methodologisch kommt dem astronomisch-astrologischen Wissen aufgrund der Mathematisierbarkeit seiner Modelle dabei grundlegende Bedeutung zu, weil sich im Bereich des Gesetzlichen (Mathematik, Natur und Moral) das Richtige vom Falschen unterscheiden lässt. Naturphilosophie ist für Melanchthon deshalb die stärkste Bastion gegen die beiden wichtigsten konkurrierenden Ansätze: die atomistische Lehre, wonach die Welt durch Zufall entstanden sei, und die stoische Auffassung einer deterministischen Naturgesetzlichkeit. Von seinen Schülern Caspar Peucer d.J., Johannes Garcaeus und Jacob Milichius wurde Melanchthons christliche Astrologie weiter ausgebaut. Im protestantischen Bereich sollte sie bis um 1680 die Einstellung gegenüber der Astrologie prägen. Im Zusammenhang der Schul- und Bildungsreform wird sie damit aber auch zu einem Instrument der Disziplinierung. Denn wenn die Wissenschaft zeigen kann, dass die Welt einer von Gott gesetzten Ordnung entspricht, dann ist es am Menschen, sich in diese Ordnung zu fügen. Weiter aber reicht Melanchthons Naturphilosophie nicht. Natur ist für ihn keine zweite Offenbarung, die Zwei-Bücher-Lehre hat in seinem Denken keinen Platz. Zwar erschließt er – Luthers Vorbehalten zum Trotz – den Bereich der Natur für die Theologie; doch als einen Vorläufer der Physikotheologie wird man ihn deswegen nicht vereinnahmen können. Glaubensüberzeugungen lassen sich für Melanchthon aus der Natur gerade nicht herleiten; diese kommen allein aus dem Evangelium der Erlösung durch Christus. Glaube und Natur verhalten sich bei ihm wie Evangelium und Gesetz bei Luther. Doch gerade in dieser Beschränkung taugt für Melanchthon Astrologie und Naturphilosophie als methodologische Grundlage von Anthropologie und Ethik.