Abstract
Contributed Talk - Working Group History of Astronomy
Religiöses Wissen in Paracelsus' Schrift „Astronomia Magna oder Die gantze Philosophia sagax der grossen und kleinen Welt“ (1571)
1Ute Frietsch
1Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, frietsch@hab.de
In dem Beitrag sollen Transferleistungen von religiösem in astronomisches und astrologisches Wissen et vice versa am Fall eines der Hauptwerke des Schweizer Arztes, Alchemikers und Laientheologen Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493/4-1541) analysiert werden: Der Beitrag konzentriert sich auf Paracelsus' Schrift Astronomia Magna, die 1571 erstmals im Druck veröffentlicht wurde und heute als authentisch gilt. Der Autor geht in seiner Argumentation von dem alttestamentarischen Theorem aus, dass Gott den Menschen aus Lehm erschaffen habe. Aus diesem Theorem bezieht er seine Legitimation, den Zusammenhang von Mikrokosmos Mensch und Makrokosmos Welt zur Grundlage einer „christlichen“ Philosophie (Naturphilosophie, Naturkunde) zu machen: Der Mensch sei bemerkenswerterweise nicht aus Nichts, sondern aus der gro\ssen Welt erschaffen worden - für diese gro\sse Welt, den Mikrokosmos steht pars pro toto der „Lehm“. Die gro\sse Welt kann dem zufolge Gegenstand einer christlichen Naturkunde sowie ggf.\ auch Gegenstand einer christlichen Theologie sein: Aussagen über die Erschaffung der Welt sowie des Menschen, über astronomische Instrumente und Geräte, über das Wetter etc.\ müssen nicht als heidnisch, sondern können legitimerweise als christlich betrachtet werden. In der Astronomia Magna werden zum einen religiöse bzw. explizit magische Aussagen - über die Erschaffung der Welt, astronomische Instrumente, das Wetter etc.\ - gemacht, diese Themenfelder sind Gegenstand ausführlicher Darstellung und Untersuchung; zum anderen werden sie zum Gegenstand laientheologischer Legitimationsversuche: Der Autor verwahrt sich hierbei eher implizit als explizit gegen theologische Ablehnungen seines Gegenstandsbereiches, wobei er sich die vorausgesetzte Ablehnung in seiner Argumentation so stark zu eigen macht, dass sie seine Argumentation schwächt und implizit mit einem Scheitern bedroht. In dem vorgeschlagenen Beitrag sollen sowohl die naturkundlichen Themenfelder wie die laientheologischen Legitimierungsversuche dargestellt werden. Darüber hinaus soll analysiert werden, welche epistemologischen Zusammenhänge der Autor zwischen den religiösen bzw. christlich theologischen Theoremen und seinen naturkundlichen Gegenstandsfeldern sah: Wozu bedurfte er jeweils der theologischen Grundlegung? Bei der Untersuchung dieser Fragestellung kann ich mich auf meine Habilitationsschrift „Häresie und Wissenschaft. Eine Genealogie der paracelsischen Alchemie“ (2013) stützen, in der ich bereits darlege, dass sich Paracelsus und die Paracelsisten in ihrer naturkundlichen Arbeit an theologischen Theoremen zu orientieren versuchten, dass diese also kein äu\sserliches Legitimationsmerkmal (nicht allein ein wissenschaftssoziologisch erklärbares Phänomen) darstellten, sondern als Fundament der naturkundlichen Arbeit gedacht waren.