Abstract
Contributed Talk - Working Group History of Astronomy
Der Streit um die Osterfestberechnung im frühen Mittelalter. Eine Fallstudie zum Verhältnis der römischen und der keltisch-irischen Kirche
1Volker Bialas
1Kepler-Kommission der Bayerischen Akademie
der Wissenschaften, München, volkerbialas@gmx.de
In der Zeit vom 6.\ bis zum 8.\ Jahrhundert erfreuten sich die gro\ssen Klosterschulen Irlands eines regen Zustroms wissbegieriger Schüler auch aus anderen Ländern. Auf literarischem Gebiet wie in den künstlerischen Bereichen der Buchmalerei, der Metallkunst und der Skulpturkunst wurde in dem „goldenen Zeitalter“ Irlands dem Land ein Rang zugebilligt, der zu dieser Zeit in der Vielfalt der geistigen Hervorbringungen als einzigartig in Europa gelten musste. In seiner freien Geisteshaltung zog Irland die Gläubigen aus anderen Ländern an, die hier ihr Wissen vertiefen wollten. Die internationalen Kontakte wurden zudem noch erweitert durch die Missionstätigkeit irischer Mönche in Britannien, Gallien und anderen Ländern auf dem europäischen Kontinent. Doch in der Ferne waren bereits Trennlinien und Misstöne erkennbar, die eigene liturgische Traditionen der altirischen Kirche betrafen, aber sich vor allem um die Bestimmung des richtigen Datums des Osterfestes abzeichneten. Formal gesehen betraf die Kontroverse ein nach astronomischen und kalendarischen Berechnungen zu bestimmendes Himmelsereignis, in konkreto aber ging es um das Selbstverständnis der irischen Kirche, das vonseiten der römischen Kirche in Frage gestellt wurde. Die sachliche Problemstellung dieses Osterstreits gliedert sich in zwei Schwerpunkte: in einen biblischen Teil, in dem das christliche Osterfest mit dem jüdischen Passah-Fest wie mit der Passion und Auferstehung Jesu einen engen Zusammenhang bildet; und ferner in einen astronomischen Teil, in dem die sachlich-wissenschaftlichen Grundlagen des luni-solaren Kalenders wie die verschiedenen astronomischen Zyklen bereit gestellt werden. Im 7.\ Jahrhundert entbrannte der Streit um das Osterfest zwischen beiden genannten Kirchen und kulminierte im Jahr 664 auf der Synode von Streanaeshealth (Whitby), einer irischen Klostergründung in Northumbrien. Das Streitgespräch wurde unter Vorsitz von König Oswiu (670 n. Chr.) augetragen und endete mit dem Sieg der römischen Partei. Der Ausgang dieser Synode über den Osterstreit stellte für die keltisch-irische Kirche einen Wendepunkt dar: Sie musste ihren Machtanspruch au\sserhalb der Grenzen Irlands weitgehend aufgeben und anerkennen, dass von nun an die römische Kirche in allen liturgischen und klerikalen Fragen mitbestimmen konnte.